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Usability Testing

Erfahrungen aus einem Usability Test: Nutzer:Innen mit Seh-Einschränkung

Janina

"Was heißt undefiniert“? – fragte mich ein Proband, als ihm der Screenreader die Elemente in der Top-Navigation vorlas. Diese und ähnliche Fragen zum Aufbau und der Funktionsweise einer Sportnachrichten-App, die während eines Usability Tests durch Seheingeschränkte Personen gestellt wurden, machte mir in diesen Momenten deutlich, wie wichtig es ist, dass digitale Produkte für Menschen mit Sehbehinderungen mitentwickelt und getestet werden.

Denn barrierearme Digitalprodukte sind nicht nur vor dem Hintergrund des ab Mitte 2025 in Kraft tretenden Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes ein wichtiges Thema, dem wir als UX/UI Abteilung von Appmatics besondere Aufmerksamkeit schenken wollen.

So hatte ich als UX Researcherin die spannende Möglichkeit, gemeinsam mit meinem Team einen Usability Test mit einem Screenreader für eine Sportnachrichten-App durchzuführen. In diesem Erfahrungsbericht möchte ich meine Eindrücke und Erkenntnisse teilen, sowie nützliche Tipps zur eigenen Vorbereitung und Durchführung geben.

 

Vorbereitung des Usability Tests:

Für den Usability Test war es wichtig, Proband:Innen zu finden, die bereits einen Screenreader auf ihrem Mobilgerät nutzten, Interesse an den Inhalten der Sportnachrichten-App und der Teilnahme am Test hatten.

Wir arbeiteten eng mit einem behindertengerecht ausgestatteten Labor zusammen, um bei der Rekrutierung der Testpersonen Unterstützung zu erhalten und um die Räumlichkeiten des Labors für die Vor-Ort-Studie nutzen zu können. Das Testlabor musste barrierefrei zugänglich sein und über einen stufenfreien Zugang verfügen, da dies für die Zielgruppe von großer Bedeutung war. Außerdem boten die Räumlichkeiten eine ruhige Umgebung ohne Ablenkungen und ermöglichte den Proband:Innen somit, sich vollständig auf den Test konzentrieren zu können.

Zudem planten wir eine ausreichende Vorlaufzeit bei der Rekrutierung der passenden Teilnehmer:Innen mit ein, um Termine mit den Proband:Innen sorgfältig planen zu können, welche am einfachsten über eine telefonische Kontaktaufnahme vereinbart werden konnten.

Um während des Tests mögliche Probleme zu erkennen und zu unterstützen, war es bei der Vorbereitung auf die Usability Tests außerdem unerlässlich, selbst Erfahrungen mit der Nutzung eines Screenreaders zu sammeln und die Steuerung des Screenreaders mithilfe von Bediengesten zu erlernen.

 

Aufbau und Verwendung von Technik:

Das technische Setup unterschied sich nicht wesentlich von Usability Tests ohne Seheinschränkungen. Es wurden je eine Kamera verwendet, um die Proband:Innen im Portraitmodus aufzunehmen und ihre motorischen Handbewegungen zu erfassen.

Ihnen war dabei ausdrücklich freigestellt, ob sie auch im Portrait-Format aufgenommen werden wollten. Es war für uns wichtig sicherzustellen, dass sich die Proband:Innen während des Usability Tests wohl fühlten und die Möglichkeit hatten eine Videoaufnahme abzulehnen.

 

Durchführung des Usability Tests:

Der Usability Test selbst war eine spannende Erfahrung.

Mit der Ankunft der Proband:Innen war es uns besonders wichtig, dass sie sich in der noch neuen und ungewohnten Umgebung wohlfühlten. Daher wurden die Proband:Innen bei ihrer Ankunft von uns herzlich begrüßt, und die Räumlichkeiten, das technische Setup sowie Verpflegungsmöglichkeiten vorgestellt. Je nach persönlichen Präferenzen, haben wir als Interviewerinnen den Proband:Innen angeboten, dass wir sie unterstützend zum Platz begleiten können. Bei Interesse haben wir auch den Begleitpersonen angeboten, dass sie sich während des Usability Tests neben die Proband:Innen setzen konnten.

Um das Testen der App mit dem Screenreader so authentisch wie möglich zu gestalten, konnten die Teilnehmer:Innen ihre eigenen Smartphones mit ihren individuellen Screenreader-Einstellungen verwenden. Obwohl wir darauf bedacht waren, die Einstellungen der Screenreader nicht zu ändern, stellten wir fest, dass sie meistens zu schnell und leise eingestellt waren. Daher baten wir die Teilnehmer:Innen kurz vor dem Test, die Geschwindigkeit und Lautstärke anzupassen. Dank der Kooperation der Proband:Innen konnten wir problemlos folgen und die Moderation der Usability Tests erfolgreich durchführen.

User Tests

Die Proband:Innen erkundeten die App anhand der Informationen des Screenreaders. Während der Durchführung des Usability Tests haben wir besonders darauf geachtet, die Proband:Innen nicht zu unterbrechen, solange der Screenreader aktiv war, und ihnen genügend Zeit zu geben, die Informationen zu verarbeiten.

Außerdem war uns wichtig, dass wir die Proband:Innen bei aufkommenden Nutzungsproblemen nicht unnötig im Unklaren ließen bzw. unnötig technischen Problemen aussetzten. Wir standen den Teilnehmer:Innen deshalb bei aufkommenden Problemstellungen unterstützend zur Seite und klärten Usability Probleme auf, damit diese besser nachvollzogen und Verbesserungsvorschläge abgeleitet werden konnten.

 

Meine Erkenntnisse:

Eine App mit einem Screenreader mit seheingeschränkten Personen testen zu dürfen, hat mir folgende wertvolle Lernerfahrungen ermöglicht:

 

  • Ich durfte Lernen, wie man einen Screenreader steuert

    Ich selbst hatte die Möglichkeit zu lernen, wie und mit welchen Gesten ein Screenreader bedient wird. Die Bedienung war zwar zu Beginn noch etwas gewöhnungsbedürftig, jedoch hat es viel Spaß gemacht neue Bedienungswege bei der Nutzung einer App zu erkunden und zu sehen, welchen Herausforderungen ich teilweise gegenüberstand. Ich kann nur jedem empfehlen – und damit meine ich nicht nur App-Entwicklern:Innen, einen Screenreader selbst einmal ausprobieren und das eigene Smartphone und seine gewohnten Apps mit einem Screenreader versuchen zu steuern. Ist gar nicht so einfach! ;)

  • Empathie und Perspektivenwechsel:

    Meine Empathie für die Perspektive von Seheingeschränkten ist enorm gewachsen, da ich durch diese Erfahrung gemerkt habe, wie unterschiedlich die Benutzererfahrung aus dieser Sichtweise ist. Ich konnte aus erster Hand erleben, wie wichtig es ist, digitale Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Es hat mein Bewusstsein für die Herausforderungen, mit denen Menschen mit Sehbehinderungen täglich konfrontiert sind, geschärft. Es war zudem spannend zu beobachten, wie die Personen ihre Smartphones bedienten. Mit welcher Leichtigkeit und Schnelligkeit das teilweise passiert ist, war schon beeindruckend. Es war zudem beeindruckend zu sehen, wie schnell sich sehbehinderte Proband:Innen in der App zurechtfanden, wie gut ihre Auffassungsgabe war und welche verschiedenen Hilfsmittel, wie z.B. Vergrößerungstools oder Braille-Displays teilweise in die Nutzung mit eingeflossen sind.

  • Sensibilisierung für Barrierefreiheit:

    Der Usability Test hat schlussendlich mein Bewusstsein für Barrierefreiheit deutlich geschärft und mir gezeigt, wie wichtig es ist, dieses Thema in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Durch die Perspektiveneinnahme der seheingeschränkten Proband:Innen, habe ich erkannt, dass es unerlässlich ist, den Dialog mit Menschen mit Einschränkungen aufzusuchen und digitale Anwendung kontinuierlich an ihre Bedürfnisse anzupassen.

Abbildung Screenreader

Fazit

Die Durchführung des Usability Tests mit Seheingeschränkten hat mir großen Spaß gemacht, und dem gesamten Projektteam sowie dem Kunden wertvolle Einblicke in die Nutzung von Screenreadern gegeben. Die Möglichkeit, reale Benutzer:Innen zu beobachten und ihre Erfahrungen aus erster Hand zu erleben, war unersetzlich.

Der Usability Test verdeutlichte die Relevanz der Barrierefreiheit in der digitalen Produktentwicklung und zeigte, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse sehbehinderter Benutzer in den Entwicklungsprozess einzubeziehen.

 

 

Autorin: Lisa Trubina